Klaus Ridder erinnert sich
An den Krieg kann ich mich wenig erinnern. Es gibt aber Erzählungen meiner Eltern/ Großeltern, an die ich mich wohl erinnere. Auch habe ich in Erinnerung, dass wir einen Luftschutzbunker aufsuchten, wenn die Bomber in Richtung Hannover unterwegs waren oder nach Abwurf der Bomben zurückkamen. Auch habe ich die sog. Tannenbäume über Hannover aus weiter Ferne gesehen, das waren leuchtende Markierungen für die Bomber, damit diese ihre Ziele fanden. Aber, eine besondere Erinnerung habe ich an die Sprengung der Leinebrücke Anfang April 1945 – praktisch vor 75 Jahren.
Wenig Krieg in Helstorf
Geboren wurde ich am 4. August 1941 in der Landesfrauenklinik in Hannover. Meine Mutter sprach immer wieder davon, dass in der Zeit, wo sie mit mir in der Landesklinik lag, die ersten Bomben auf Hannover fielen. Als Kind hatte ich eine schöne Zeit, ich hatte ein Kindermädchen und besuchte den Kindergarten, dort wo sich heute der Pfarrsaal befindet. Zu essen gab es auf dem Bauernhof genug. Mein Vater war als Rendant der Spar- und Darlehenskasse „unabkömmlich“ und wurde erst im November 1944, als man auch die letzten Männer als Soldaten brauchte, eingezogen. An den letzten Abend vor Vaters Abreise kann ich mich auch noch erinnern, weil ich beim Toben auf dem Sofa meiner Großeltern mit dem Kopf gegen die Heizung fiel und mir eine große Wunde am Hinterkopf zuzog.
Es gibt ein Bild, wo ich in der Sonntagshose vor einer Kuh stehe , im Hintergrund ist die die Leinebrücke, um die es hier geht, zu sehen.
In den letzten Kriegswochen ging alles „drunter und drüber“, die englischen Truppen eroberten vom Westen her in Riesenschritten Deutschland – doch es gab immer mal wieder Widerstände. Dazu gehörte es auch, Brücken zu sprengen, um den Vormarsch der ‚Tommys‘ , so wurden von uns die englischen Soldaten genannt, zu stoppen.
Sprengung durch deutsche Pioniere
Eine Brücke ersetzte 1894 die Fähre, die bis dahin zur Leinequerung benutzt wurde.
Und es gab den Befehl, die Brücke zu sprengen, damit den vorrückenden Tommys der Vormarsch erschwert wurde.
Deutsche Pioniere brachten Sprengkörper an und Bruder Horst und ich beobachteten alles – wir hatten uns in der Böschung der Straße, die zur Brücke führte, versteckt. Die Pioniere konnten uns wohl nicht sehen, sonst hätten sie uns weggejagt.
Dann erschien aufgeregt unsere Mutter, sie hatte uns lange gesucht und nun gefunden. Auf ging es nach Hause in den Keller. Alle Fenster waren geöffnet worden wegen der zu erwartenden Druckwelle. Die Pioniere hatten eine bestimmte Zeit verkündet, dann sollte die Sprengung erfolgen. Wir hielten uns die Ohren zu, dann kam der laute Knall und eine Art Erdbeben.
Die Brücke lag in der Leine und blieb da auch mehrere Monate liegen.
Ich kann mich daran erinnern, dass sich vor der im Wasser liegenden Brücke Treibholz und auch Tierkadaver, einmal war es eine aufgeblähte Kuh, staute.
Tommys bauten Brücke in wenigen Stunden
Es gibt ein Bild, auf dem englische Pioniere auf der Mandelsloher Seite die eingestürzte Brücke betrachten.
Innerhalb weniger Stunden hatten die Pioniere eine neue Brücke über die Leine gebaut und Helstorf wurde erobert. Wer sich ergab, der hängte ein weißes Laken aus dem Fenster. Meine Mutter hisste „unsere Fahne“ an den Fahnenmast, wo ansonsten die Hakenkreuzfahne gezeigt wurde. Schießereien gab es in Helstorf keine, weil die deutschen Landser sich in Richtung Osten entfernt hatten.
Wohl gab es Widerstand eines „Einzelkämpfers“ im Bereich der Jürsebrücke (dort wo Diethard Hensel wohnte). Das Grab des deutschen Soldaten war noch in den 50er Jahren vorhanden und die Gebeine wurden später umgebettet.
3 Brücken in Helstorf
Die erste Leinebrücke wurde am 5. Mai 1894 in Betrieb genommen und war bis zur Sprengung am 7. April 1945 im Einsatz, also fast 51 Jahre..Die Leine wurde bis bis 1961 mit der englischen „Bailey Brücke“ (auch Tommy-Brücke genannt) überquert. Diese Brücke bestand aus einzelnen Stahl-Segmenten, die zusammengesetzt wurden und so statisch für eine ausreichende Festigkeit sorgten. Die Fahrbahn, das waren kräftige Holzbohlen, die auch ordentlich klapperten. Die Fahrbahn war einspurig, wer zuerst auf der Brücke war, hatte „gewonnen“. Seitlich gab es Laufstege für Fußgänger mit einzelnen Brettern belegt. Man konnte durch die Lücken zwischen den Brettern durchschauen auf die Leine und das Überqueren war nicht Jedermanns Sache; als Kinder hatten wir da schon mal Angst.
Vor der Brücke gab es hinter Stünkels Scheune eine Rechts- und eine Linkskurve, gepflastert mit Blaubasalt und stark überhöht.
Später, ich hatte dann schon einen VW Käfer, war es eine Mutprobe, schnell durch die beiden Kurven zu fahren und wenn man dann mit 80 Sachen auf die Brücke fuhr, das war ein „Aha“-Erlebnis.
Wie schon erwähnt, weder in den Schlängelkurven vor der Brücke noch auf der Brücke durfte es Gegenverkehr geben. Es ging immer gut.
Bleibt noch zu erwähnen, dass es 1961 eine neue Stahlbetonbrücke südlich der Tommy-Brücke gab, die ja heute noch in Betrieb ist.
Resümee
Es gab 3 Brücken in Helstorf und die sinnlose Sprengung der ersten Brücke habe ich miterlebt, beinahe „hautnah“ vor Ort. Doch unsere Mutter rettete meinen Bruder Horst und mich. Das bleibt mir immer noch in Erinnerung.
03.04.2020 - Klaus Ridder