"Die Reihenfolge war streng reglementiert – oder ergab sich aufgrund unterschiedlicher Themen: Vorne vorweg die Männer und dahinter die Frauen mit den Kindern. Allenfalls im Winter zogen die kräftigen Männer schon mal den Schlitten mit den Kindern. Selbstverständlich trugen die Männer einen Anzug mit Schlips, die Frauen Rock und Bluse und die Kinder ihre Sonntagskleidung. Aber, der Reihe nach."
Sonntags ging’s um 10.00 Uhr in die Kirche.Das ging immer in aller letzter Minute über Nachbar Urban’s Hof, schließlich war das sogar ein ‚amtlicher Kirchweg‘, eingetragen sogar im Grundbuch.
Mutter hatte alles schon für das anschließende Mittagessen vorbereitet und der Sonntagsbraten wurde vor dem Kirchgang in den Backofen geschoben.Und Oma Frieda hatte auch schon die Kartoffeln geschält, die hatten für sonntags eine besonders schöne runde Form. Um 12.00 Uhr Mittagessen im Wohnzimmer, Suppe, Hauptgericht und Nachtisch. Das beste Porzellangeschirr mit Goldrand wurde aufgedeckt und das Silberbesteck wurde aus dem Schrank geholt. Sogar Wein gab es. Jedes Jahr bestellte Vater Wein bei einem Winzer an der Mosel. Das war immer ein ‚süßes Zeug‘ mit klangvollen Namen wie ‚Liebfrauenmilch‘ oder ‚Kröver Nacktarsch‘. Der Wein kam übrigens gut verpackt in einer Holzkiste am Hoper Bahnhof per ‚Express‘ an .Zur „Neutralisation“ gab es zwischen der Vorsuppe und dem Hauptgericht noch zwei Kartoffeln, die in den Suppenteller gelegt wurden.
Gegessen wurde, was auf den Tisch kam - so musste ich auch schon mal Tomatensuppe essen, obwohl ich die wirklich nicht mochte. Aber der Nachtisch, Welfenpudding, Wackelpudding oder ähnliches schmeckte immer.
Serviette gab es noch nicht, man musste ordentlich am Tisch sitzen und ordentlich essen, man hatte ja schon Sonntagskleidung an. Der Umgang mit Messer und Gabel der klappte noch nicht so richtig, das lernte ich erst später in der Tanzschule. Die Ermahnungen „Setz dich mal richtig hin“, „Du kannst ja immer noch nicht richtig essen – was soll aus dir mal werden?“ , blieben nicht aus.
Mutter und Oma hatten das Geschirr weggespült und so nebenbei wurde der Sonntagskuchen vorbereitet, so wurde beispielsweise der Frankfurter Kranz, den es alle 4 Wochen gab, mit Creme gefüllt und mit Krokant verziert. Obstkuchen mit Streusel und darunter Äpfel, Kirschen oder Pflaumen der war schon sonnabends fertig.. An Festtagen gab es Butterkuchen, der bei Bäcker Rehbock auf großen Blechen gebacken wurde.
Schön angezogen ging es dann auf den Sonntagsspaziergang, je nach Wetter und Jahreszeit vor und nach dem Sonntagskaffee. Dabei waren normalerweise meine Tanten Lieschen), Tante Elsbeth oder Tante Ellen und deren Männer Onkel Franz, Onkel Kurt und Onkel Karl. Es ging über die Heide (das war bei gutem Wetter die längste Tour), in die Marsch oder durch den Luttmerser Wald mit einem Besuch des Friedhofs, oder ..oder.. oder.
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Die Männer trugen im Winter auch einen Hut und der Hut wurde immer wieder abgehoben, wenn es „personenbezogenen Gegenverkehr“ gab.
Peinlich wurde darauf geachtet, dass wir Kinder uns nicht schmutzig machten, schließlich hatten wir unsere besten Sachen an. Das war oftmals bei kühlerem Wetter eine kurze Hose mit langen Strümpfen. Unter der kurzen Hose wurde ein Leibchen getragen, an dem mit ‚Strapsen‘ die Strümpfe befestigt waren. Warum hat man uns das damals eigentlich angetan?
Wie anfangs schon erwähnt, die Männer vorneweg und die Mütter mit den Kindern hinterher. Nach dem Spaziergang bzw. Kaffee und Kuchen wurde die „Sonntagsveranstaltung“ aufgelöst. Danach rief schon wieder die Landwirtschaft, denn die Kühe mussten gemolken werden.
Bevor es Abendessen gab, man konnte die Uhr danach stellen, kamen Wredes aus Hannover: Tante Hilde, Onkel Willi und Tochter Christa – natürlich unangemeldet und immer wieder „zufällig“.
Die Wredes wurden „steinreich“, sie betrieben ein Bettengeschäft in der Altstadt und hatten dort auch zahlreiche Häuser. Onkel Willi fuhr einen Opel Kapitän, das war ein Auto der oberen Luxusklasse. Er war für seinen Geiz bekannt, denn sonst hätte er ein solches Vermögen wohl kaum erwirtschaften können.
Zu essen gab es auf einem Bauernhof ja immer was – Brot, Wurst und Schinken waren eigentlich immer verfügbar. Und so tischte meine Mutter für die hungrigen Städter immer ordentlich auf (was umgekehrt nie der Fall war, den Onkel Willi war für seinen Geiz bekannt). Gut gesättigt fuhren die „Städter“ abends wieder nach Hause.
Einmal gab es ‚Sauerfleisch, das waren gewürfelte und gekochte Fleischstücke vom Schwein, die in süßsauren Gelee (Aspik) angelegt wurden. Damals war Fett gefragt und so waren in dem Sauerfleisch auch ordentlich viele fette Fleischstücke drin. Doch Christa, die Tochter aus der Stadt, hatte wohl etwas gegen solche Fettstücke und würgte am Tisch herum – bis meine Mutter Erbarmen mit ihr hatte und sie vom Tisch wegführte. Die angekauten Fleischstücke bekamen dann die Schweine .Ich bin sicher, dass Christa nie wieder Sauerfleisch in ihrem Leben gegessen hat.
Resümee
Es war ein gutbürgerlicher Sonntag, den ich, wie ich etwas älter war, gegen „meinen“ Sonntag austauschte. Aber, als unsere Tochter Cora da war, da gingen wir mit unseren Freunden sonntags auch spazieren – wie in meiner Kindheit.